Die juristische Ausbildung ist seit 150 Jahren in ihrer zweistufigen Form nahezu unverändert. Jedoch bleiben die Rufe nach einer in die Grundstrukturen eingreifenden Reform laut, ohne, dass sich grundlegende Veränderungen abzeichnen. Die Kampagne iur.reform will mit einer großen Abstimmung unter allen juristischen Akteur:innen die Grundlage für eine Debatte über die Zukunft der juristischen Ausbildung legen.
Die wiederkehrende, zersplitterte Debatte
Über die Jahre erwecken zahlreiche Beiträge in Literatur und Presse, mit nicht unerheblicher Reichweite, hin und wieder das Gefühl, dass eine größere Reform bevorstünde. Allein in den letzten Jahren machten Akteur:innen aus allen Bereichen der Rechtswissenschaft wie die Professorin Katrin Gierhake oder Elisa Hoven, mit Umfragen, Diskussionsveranstaltungen und Zeitschriftenbeiträgen auf die Reformbedürftigkeit der juristischen Ausbildung aufmerksam. Stephan Breidenbach und Ulla Gläßer schlugen in ihrem Manifest eine gänzlich neue Rechtslehre vor, die in der New School of Law umgesetzt werden soll.
Aber auch studentische Initiativen wie iurExit, die sich insbesondere für eine unabhängigere Form der Staatsexamensvorbereitung einsetzen oder auch recode.law, die Diskussionsveranstaltungen zur Neuordnung des Studiums organisieren, treiben den Diskurs voran.
2020 organisierten der Deutsche Anwaltverein (DAV), der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften (BRF) und die European Law Students Association (ELSA) eine Umfrage unter Studierenden und Absolvent:innen und verfassten ein Thesenpapier zur Jurareform. Das Unternehmen LexSuperior begann im Jahr 2019 mit einer jährlichen digital Study, um den Digitalisierungsbedarf der juristischen Ausbildung zu erfassen.
Doch fehlt es an großangelegten Studien, Konzeptentwürfen oder Konferenzen aller Akteur:innen, also auch mit Beteiligung der (Landes-)Justizministerien und des Gesetzgebers. Das gab es zuletzt zur Accademie Loccum 1968, welche letztlich in der Einführung der einstufigen juristischen Ausbildung mündete.
Diskursbündelung auf einer zentralen Plattform
Der Verein Bündnis zur Reform der Juristischen Ausbildung e.V. will hier ansetzen und den Diskurs auf der Plattform iurreform.de bündeln. Dafür wurden über 250 Beiträge zur Reformdebatte aus dem Zeitraum zwischen 2000 und 2021 gesammelt und ausgewertet. 44 der diskutierten Vorschläge wurden in Thesenform zusammengefasst und sollen in einer großen Abstimmung von Studierenden, Praktiker:innen, Lehrenden, Mitarbeiter:innen der Landesjustizprüfungsämter und den politischen Entscheidungsträger:innen, kurz: allen Akteur:innen bewertet werden. In einem Informationsbereich können überdies die vorgeschlagenen Thesen sowie die in der Literatur vorgebrachten Pro- und Contra-Argumente eingesehen werden. Die Webseite iurreform.de soll damit auch zu einer Art Wiki für Reformvorschläge für die juristische Ausbildung werden. Hierbei haben die Akteur:innen auch die Möglichkeit eigene Reformvorschläge einzureichen, die über unsere Darstellung hinausgeht. Um das Vorgehen und insbesondere die Abstimmung bereits frühzeitig zu koordinieren, hat die Initiative u.a. mit DAV, BRF, DRB und andere Initiativen wie eLegal oder recode.law zusammengearbeitet.
Mit diesem Vorgehen soll eine Debatte auf einer gemeinsamen Datengrundlage entstehen, in der beispielsweise Studierende und Praktiker:innen gemeinsam über die bestehenden Vorschläge diskutieren.
Die Thesen
Die 44 Thesen, die in der Abstimmung zur Bewertung stehen, haben sich aus der oben beschriebenen Literaturanalyse herauskristallisiert. Sie lassen sich grob in die folgenden Themenbereiche aufteilen:
Studienmodelle und -konzepte, Aufbau und Inhalte der ersten juristischen Prüfung, Inhalte und Organisation des Studiums, Rolle des Schwerpunkts, Examensvorbereitung sowie Bewertung und Inklusion. Die Thesen reichen von der Einführung eines integrierten Bachelors, der Ergänzung des Studienkatalogs um Inhalte wie Legal Tech oder Mediation, über die Zulassung von Hilfsmitteln im Examen und reichen bis hin zu Forderungen die Notenstufen zu verändern oder die Laufbahnorientierung während des Studiums zu ermöglichen.
Weiteres Vorgehen
Die Abstimmung startete am 17. Januar 2022 und läuft noch bis zum 17. Juli 2022. Zur Auswertung der Die Ergebnisse werden in einer Studie zusammengetragen. Mit ihrer Hilfe sollen alle Akteur:innen der Reformdebatte die Möglichkeit erhalten, auf Empirie zu bauen. Der gemeinsame Diskurs mit allen Akteur:innen ist für den bevorstehenden Weg unerlässlich.
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